Stadt Memmingen:Geschichte des Stadtarchivs

Geschichte des Stadtarchivs Memmingen (vor 1989)

Die Memminger Archive und die Mediatisierung der Reichsstadt

Als im Herbst des Jahres 1802 der bayerische Kommissar von Miller zur sog. Zivilbesitznahme der Reichsstadt Memmingen eintraf, versiegelte er neben den öffentlichen Kassen und den öffentlichen Vorratshäusern auch das Stadtarchiv und das Hospitalarchiv - man beachte den Rang der Archive. Eine komplette Versiegelung des Kanzleiarchivs, das "eigentlich nur Akten [enthält]", war nicht möglich, "weil die Geschäfte vollkommen stocken müssten, wenn man nicht auf den größten Theil dieser Acten und Scripturen zu jeder Zeit recurieren [zurückgreifen] könte. Ich habe also [- gab Miller weiter zu Protokoll -] nur auf die mir als die wichtigsten und zugleich bey den laufenden Geschäften entbehrlichsten Actenkästen die Siegel gelegt, und das übrige dem Kanzleydirector, welcher darüber Registrator ist, auf seine Verantwortlichkeit und darüber schriftlich gegebenes Gelübde ... überlassen müssen."

Deutlich wird die Differenzierung zwischen Archiven und Registraturen. Ursprünglich bedeutete Archiv, griech. "arche" oder "archaios", eine Behörde, in der ganz allgemein Schriftgut aufbewahrt wird. Im Laufe der Jahrhunderte veränderte sich jedoch die Bedeutung. Nun (zu Ende des 18. Jh.) befanden sich im Archiv nurmehr Unterlagen von nicht mehr unmittelbarem Bezug zur Gegenwart; Akten, die für laufende Geschäfte noch ständig benötigt wurden, wurden in Registraturen aufbewahrt oder besser verwaltet. Nimmt man weitere Aktenablagen hinzu, die bei Miller keine Erwähnung fanden, deren Existenz jedoch aus alten Verzeichnissen hervorgeht, so ergibt sich folgendes Bild zum Memminger Archivwesen am Ende der Reichsstadt:

"Unteres Archiv" der Reichsstadt im Steuerhaus (1. OG):

Hier befanden sich unmittelbar beim hier tagenden Geheimen Rat alle wichtigen Urkunden, die Privilegien der Kaiser und Könige, Verträge mit anderen Reichsständen, sowie Lehen-, Bestallungs- und Stiftungsbriefe. Bei diesem Archiv handelte es sich zweifelsfrei um das reichsstädtische Hauptarchiv. Nach der Mediatisierung wurden die Unterlagen zur Kanzlei überführt, um von dort 1813 ans Geheime Landesarchiv in München bzw. ans Archivkonservatorium in Kempten abgegeben zu werden. Die Memminger Archivalien, die sich heute in staatlichem Gewahrsam befinden, stammen weitestgehend aus diesem Archiv. Kurz vor der (teilweisen) Wiedererrichtung der kommunalen Selbstverwaltung besuchte der seinerzeitige Reichsarchivars Franz Joseph von Samet 1818 Memmingen, um nach rechtlichen und auch schon historischen Gesichtspunkten die Archivalien aufzuteilen. Wichtigste Kriterien waren ihr Bezug a) zur Reichsstadt als Stand des Alten Reiches bzw. b) zur Stadt als Gemeinschaft freier Bürger. Nicht nur wegen des Zeitdruckes blieb die Auswahl willkürlich, systemlos und den archivischen Gegebenheiten fremd. Die in Memmingen verbliebenen Reste des "Unteren Archivs" wurden 1818/25 wieder zurück ins Steuerhaus transportiert.

"Oberes Archiv" der Reichsstadt im Steuerhaus (2. OG)

Hier - am Sitz des Stadtammans - befanden sich Akten der Bereiche Justiz, auswärtige Angelegenheiten, Medizinalwesen, Münzwesen und Steuern (zumeist aus dem 16. Jahrhundert). Wahrscheinlich wurde hier auch die Serie der Reichs- und Städtetagsakten verwahrt. Diese Archivalien blieben den staatlichen Archivaren wohl verborgen und deshalb in Memmingen.

Kanzleiarchiv der Reichsstadt:

In der reichsstädtischen Kanzlei (Herrenstraße) wurden die umfangreichen Korrespondenzen des Kanzleidirektors und der ihm unterstehenden reichsstädtischen Verwaltung abgelegt (Schwerpunkt: 17. und 18. Jahrhundert). Sie waren für den laufenden Geschäftsgang noch notwendig und wurden teilweise an staatliche Behörden (Landgerichte, Rentämter) abgegeben, da diese nun Verwaltungsaufgaben der ehemaligen Reichsstadt wahrnahmen. Mit den staatlichen Aktenaussonderungen gelangten sie Ende des 19. Jahrhunderts in die Staatsarchive und wurden mit den dortigen Reichsstadt-Archivalien vereinigt.

Hospitalarchiv (im unteren Gewölbe des Kreuzherrnturmes)

Hier befanden sich die Urkunden, Amtsbücher und Akten des Memminger Unterhospitals. Die Unterlagen der vielen anderen Stiftungen lagen bei den einzelnen Verwaltungen und Pflegämtern. Miller sprach diesen wohl mangels Umfang keinen Archivcharakter zu. Die Stiftungsverwaltung ging 1809 in Staatsverwaltung über, damit auch die Registraturen und Archive der Wohltätigkeits-, Unterrichts- und Kirchenstiftungen. Der hier gezeigte staatliche Zentralismus war allerdings bereits nach einigen Jahren zum Scheitern verurteilt. 1817 gelangten die - teilweise stark veränderten - Stiftungen (und die meisten Archivalien) wieder unter städtische Aufsicht. Auf Drängen der Memminger Stiftungsverwaltung wurden 1828 Grund- und Verwaltungsbücher, Stiftungsbriefe und Rechnungen, die beim Landgericht Ottobeuren lagen, wieder nach Memmingen zurückgebracht.

Klosterarchive (Hl.-Geist-Orden, Augustinereremiten, Franziskanerinnen):

Die Archive bzw. Archivteile der katholischen Klöster wurden im Kanzleigebäude zum Transport nach München in große Kisten verpackt. Versehentlich blieben jedoch zwei der Kisten bezüglich Augustereremiten und Franziskanerinnen in Memmingen liegen und gelangten später - ebenfalls versehentlich - zu den Restbeständen des Unteren Steuerhausarchives. Deshalb sind auch im hiesigen Stadtarchiv - wider Erwarten - Archivalien katholischer Klöster erhalten. Andere Archivalien blieben wohl in den Klostergebäuden liegen, wurden ins Klosterarchiv nach Ottobeuren gebracht oder sind in den folgenden Jahren verloren gegangen.

Zur Geschichte der reichsstädtischen Archive vor 1803

Die Versiegelung der Archive 1802 zeigt die rechtliche Bedeutung, die den Archiven zugewiesen wurde. Da die Verfassung etwa einer Reichsstadt auf Privilegien und Verträgen beruhte und der Verlust der Originale den Abgang der jeweiligen verbrieften Rechte unmittelbar nach sich ziehen konnte, ist uns über die baulichen Verhältnisse früherer Archive nur wenig bekannt. Maßgebender Grundsatz war eben die einbruch- und feuersichere Verwahrung der Urkunden; über die Lokalitäten, ihre Lage, Größe, Zugänge wie auch über die Erschließung der Archivalien der Mit- und Nachwelt Aufschlüsse zu bieten, lag nicht nur nicht im Interesse des Archivträgers, sondern widersprach vielmehr dem Archivgeheimnis.

Bis 1803 war ausschließlich der Stadtschreiber (Kanzleidirektor) mit der Verwaltung von Registratur und Archiv betraut. Diese Verbindung von Kanzlei, Registratur und Archiv läßt sich übrigens auch bei Fürsten, Adeligen und Klöstern feststellen.

Neben seinen sonstigen Aufgaben 1. Protokollführung im Rat, Verkündung und Vollzug von Ratsbeschlüssen, Vertretung der Reichsstadt vor Gericht sowie Gesandtschaft und Leitung der Außenpolitik und 2. Führung von Kanzlei und Verwaltung, Führung der Stadtbücher und Korrespondenzen, Vermögensverwaltung, neben diesen Aufgaben war der Stadtschreiber auch Leiter/Verwalter des Archivs - unter der besonderen Aufsicht des (Geheimen) Rates. Wegen der zahlreichen Aufgaben darf keine durchgehende Tätigkeit für das Archiv und im Archiv angenommen werden; Grad und Umfang der Arbeit waren sicherlich abhängig von der Persönlichkeit des Stadtschreibers und von den Zeitverhältnissen. Auffallend ist in diesem Zusammenhang die besonders starke Tätigkeit von Stadtschreibern fremder Herkunft. Ein Grund hierfür dürfte wohl darin liegen, daß ein Fremder sich in den Stand der Verwaltung und Politik einarbeiten mußte, und ihm dafür ein Überblick über die (aktenmäßigen) Grundlagen von besonderer Bedeutung schien.

Von den spätmittelalterlichen Stadtschreibern muß Marquard Neidhardt aus der Ulmer Stadtschreiberfamilie hier besonders herausgehoben werden. Ihm verdankt Memmingen nicht nur eine Neu-Kodifikation des Stadtrechts (1396), sondern im Anschluß daran auch eine kontinuierliche Protokollierung wichtiger (Rechts-) Vorgänge im sogenannten Denkbuch. In der Vorbemerkung schrieb Neidhart: "Anno 1397 am Samstag nach dem Urbanstag (26. Mai) war dieses Buch angefangen und darzu man nu fürr mehr allwegen schriben und setzen soll, was man hier von Memmingen järlich geben müssen, Lipding und Zinsen, Amptluit, unseres Herrn des künigs steuer, von dem Ammann Ampt, dem Landvogt und auch ander Sach und das ist angefangen desmals, da Marquardus Nithart von Ulme Stattschreiber zu Memmingen war."

Dieser Satz ist fast das einzige, das an den Stadtschreiber aus Ulm erinnert. Das Denkbuch wurde in den darauffolgenden Jahrzehnten bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts als Amts- und Verwaltungsbuch fleißig fortgesetzt und stellt eine unersetzliche Quelle für die historische Forschung dar.

Der nächste Stadtschreiber, der es verdient, an dieser Stelle erwähnt zu werden, ist Ludwig Vogelmann. Vogelmann, der wie Neidhardt ebenfalls aus einer Stadtschreiberfamilie stammte, wurde 1478 in Schwäbisch Hall geboren. Nach seinem Studium ab 1493 in Heidelberg wurde er 1508 zum Memminger Stadtschreiber bestellt.

Von diversen Ordnungs- und Erschließungsmaßnahmen zeugen ein Stiftungsregister (quasi ein erstes thematisch abgegrenztes "Archivverzeichnis"), ein Verzeichnis der Ratsleute und städtischen Bediensteten - das bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht - und ein Stiftungsbuch, in dem die Urkunden der Meß- und Pfründestiftungen zu St. Martin abschriftlich eingetragen wurden.

Mit der Amtszeit Vogelmanns beginnt die großartige Serie der Ratsprotokolle; auf ihn geht auch eine Verwaltungsreform zurück, deren Ziel eine deutliche Stärkung der städtischen Kanzlei gegenüber Stiftungspflegern und Stadtamman war. Vogelmann schrieb dazu im Ratsprotokoll: "Auf heute ist erraten worden und mir zugesagt, daß der Spitalschreiber nun hinfürr nicht mehr, was das Spital und seine armen Leute berührt, schreiben, sondern mir werden lassen und sonderlich, was das Spital und die Pfleger siglen. Und soll der Ammann kein Brief sigeln, denn die in der Canzlei geschrieben sind."

Die entschieden antireformatorische Haltung des 1524 aus städtischen Diensten ausgeschiedenen Vogelmann wurde ihm zum Verhängnis; am 1. Januar 1531 wurde der nunmehrige bischöfliche Gesandte in Memmingen verhaftet und zwei Tage später auf dem Marktplatz mit dem Schwert hingerichtet.

Danach schweigen die Quellen zur Archivgeschichte. 1602 erfahren wir von einer Hinterlegung der Königlichen Privilegien beim Hofgericht in Rottweil. Ob es sich hier um eine kurzfristige oder längerfristige Deponierung handelte, geht aus den Quellen nicht hervor. 1645 wurde ein Registerband für die Protokolle des Großen und des Geheimen Rates angelegt, jedoch mehr als Verwaltungshilfsmittel, denn als Archivverzeichnis. Ab 1732 folgte diesem Band ein zweiter für die letzten 70 Jahre Reichsstadtzeit.

Anfang des 18. Jahrhunderts werden wieder Reformen im Verwaltungs- und Aktenwesen der Reichsstadt erkennbar. Johannes Schütz, seit 1705 Licentiat und Rat, später Stadtamman und Bürgermeister, legte 1709 - um die Übersicht im Steuerhausarchiv zu erhalten und zu behalten - eine "Registratura Documentorum" an, in der er kurz und knapp die vorhandenen Privilegien, Urkunden, Verträge und wichtigen Akten Schublade für Schublade verzeichnete; bereits 1712 folgte eine "Continuatio Registraturae Documentorum". Diese beiden Bände wurden laufend ergänzt.

Die Neuordnung des reichsstädtischen Archivs fällt in eine Zeit umfassender Verwaltungsreformen: auch die Registraturen und Archive der verschiedenen Stiftungen und Pflegen, allen voran die des Unterhospitals wurden verzeichnet. Für deren Grundherrschaften legte der Memminger Stadtwerkmeister Johannes Wannenmacher neue Grundbücher an, die nicht nur einen klaren Überblick über den Besitz nach dem Dreißigjährigen Krieg gewährten, sondern auch Grundlage für eine einheitliche Besteuerung / Veranlagung aller reichsstädtischen Untertanen waren.

Derweilen wuchs in der Kanzlei die Menge der Korrespondenzen und Akten weiter an - im Zusammenhang und vielleicht auch als Folge dieser Reformen, gewiß aber parallel zum allmählichen Aufstieg des Kanzleidirektors in der reichsstädtischen Politik.

Jedoch hören wir erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts von einer Neuordnung (1790 Rückseite eines Kaufvertrages von Lupin), die wohl der vorletzte Kanzleidirektor Johann Sigmund von Lupin erstellt hat. Er kam damit der Verpflichtung seines Bestallungsbriefes nach, die folgendermaßen lautet: "Neben diesem [allg. Verwaltungsaufgaben, Führung des Ratsprotokolls] solle ihme weiters obliegen, das Canzleyarchiv in bester Verwahrung zu halten, die Relationes, Acta und alle bey Rath verhandelte Briefschaften an seine Behörde zu legen, in Ordnung zu halten und zu dem Ende sich der bereits vorhandenen Registratur wohl erkundigen und solche fleissig zu continuieren, auch ohne Bescheinigung keine wichtigen Acta an Niemand ab und von Händen zu geben."

Eine durchgehende Verzeichnung der in großen Schubladenkästen verwahrten Akten ist jedoch nicht mehr erfolgt, es mangelte wohl an geeignetem Personal.

Zur Geschichte der Stiftungsarchive vor 1803

Auf die Register-Erstellung bei den Stiftungsverwaltungen zu Beginn des 18. Jahrhunderts habe ich soeben bereits hingewiesen. Die erhaltenen Registratur-Verzeichnisse, aber auch das Schild über dem Archiveingang erinnern an diese Arbeiten: "Archivum Xenodochii Inferioris Memmingensis Squalore et tenebre liberatum, in ordinem redactum et restauratum. Anno post Christum Nat. MDCCVIII."

Diese Ordnungs- und Verzeichnungsmaßnahmen stehen im Falle des Unterhospitalarchivs in einer sehr langen Tradition.

Bereits im 15. Jahrhundert erkennen wir erste Ansätze einer geordneten Akten- und Amtsbuchführung, mit dem Ziel, die wachsende Grundherrschaft bzw. die Kauf- und Tauschbriefe, Stiftungsurkunden und Zinsbriefe geordnet zu erhalten. Nach einem Stiftbuch 1438 und einem Amtsbuch für das Rechnungswesen 1448 wurde 1451 ein Registerbuch mit der Funktion eines Registraturhilfsmittel angelegt, wie die Vorbemerkung zum Ausdruck bringt: "Anno 1451 haben Cuno Stüdlin und Hans Teufel, Pfleger, und Hans Lerchenmair, Hofmeister des Spitals und der Dürftigen zu Memmingen, des Spitals Briefe, es sei um gelegne Güter, um Revers, um Zins, um Urteilbrief, um Tädingsbrief, um Lehenbrief und um ander Sachen lautend in dies Buch verzeichnet und aufschreiben lassen, um daß man in künftig Zeiten wissen möge, was Briefe um solche Sachen das Spital habe und so man derer bedürfe, daß man die dann desto besser finde und sich darnach zu richten wisse."

1462 folgte dem ersten Band ein zweiter; vier Jahre später wurde nach reichsstädtischem Vorbild ein Denkbuch angelegt.

Hintergrund der neuen Amtsbuchführung waren neben persönlichen Motiven wie im 18. Jahrhundert Neuorganistationen des reichsstädtischen Steuer-, Kassen- und Rechnungswesens und das wachsende Selbständigkeitsgefühl Memmingens im 15. Jahrhundert. Die Verwaltung der Stiftungen durch jeweils zwei städtische Pfleger führte also zu einer unmittelbaren Umsetzung städtischer Reformen auch im Stiftungswesen.

Den gewaltigen Änderungen und Erweiterungen der Grundherrschaft des Unterhospitals wurde 1574 durch Neuanlage eines Grundbuches Rechnung getragen, das als letztes den gesamten Herrschaftsbereich in einem Band vereinigte. In der prachtvoll ausgeschmückten Vorbemerkung können wir lesen: "Im Tausendt fünffhundert und vierundsibenzigsten jar, glaub mir, als löblich geregiert hanndt sgotshauß spital in statt und landt, die ehrnveste weyse herren pfleger würdig aller ehren ... [- es folgen die Namen der Pfleger, des Hofmeisters, des Spitalschreibers etc. -], da wardt dis grundbüchlein new gemacht und in ein ordnung fein gebracht, mit sonderm fleiß und großer mühe durch Jörg Hagen beschrieben hie des Spitals höff und guetter all in statt und lanndt ales zmal. Ach bedenckh wie milt die altenn sich handt gen den armen ghalten, drum last uns auch best mitt in thon, so gibt uns gott sein großen lohn. Hie zeitlich wolffart und segen, nach disem das ewig leben. Amen". Am unteren Rand dieser Seite hat - wohl später - eine andere Hand folgende Aufforderung ans Verwaltungspersonal eingetragen. "Anfanng, mittel und endt betracht, so wirt all sach sehr wollgemacht."

Ab der Reformationszeit war das Archiv des Unterhospitals im unteren Gewölbe des Kreuzherrnturmes, also im Klosterbereich der Kreuzherren untergebracht. Dieser Zustand blieb auch nach der Klosterrestitution 1547 bestehen und war in den folgenden Jahrhunderten des öfteren Verhandlungs- und Streitgegenstand.

Das Memminger Archivwesen im 19. und 20. Jahrhundert

Die rechtliche Bedeutung der Archive ging nach 1803/1818 allmählich zurück; dafür trat die historische Bedeutung der Archivalien in den Vordergrund und trug entscheidend zu ihrer Erhaltung bei. Damit kommen wir zur wissenschaftlichen Auswertung der Archive einschließlich der notwendigen Vorbereitungen - sprich Ordnungs- und Verzeichnungsarbeiten.

Nach den Stiftungsarchivalien (1823) wurde 1825 auch das Kanzleiarchiv ins Rathaus verlagert und 1832/33 durch den Studienlehrer Jacob Friedrich Unold erschlossen. Unold hatte bereits seit 1812 Quellenstudien betrieben und 1825 eine "Geschichte der Stadt Memmingen" verfaßt, die noch heute gerne gelesen wird. Unabhängig davon verzeichnete der ehem. Magistratsrat und Kassier Jacob Friedrich Rupprecht 1827 bzw. 1835 die beiden Steuerhausarchive (einschließlich der angegliederten Klosterarchivalien). Dieser weithin vergessene Rupprecht hatte zuvor bereits Kataloge für die Lateinschul-Bibliothek und die Stadtbibliothek erstellt, die um 1815 im Steuerhaus aufgestellt wurde - alles mittlerweile überholte Verzeichnisse.

Die Ordnungsmaßnahmen wurden 1838/39 vom Historischen Bezirks-Comitée der Stadt Memmingen besprochen. Dieses Comitée hatte die Aufgabe, den Abschnitt "Memmingen" für ein von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenes "Historisch-topographisches Lexikon des Königreichs Bayern" zu verfassen. Der Abschnitt sollte (landeseinheitlich) in drei Gruppen gegliedert werden: I. Chronik (in 8 Perioden), II. Monumente und Denkmale (des Staates, der Stadt, der Stiftungen und Korporationen etc.), III. Statistisch-topographische Notizen (darunter Volks-Charakteristik und Volks-Leben). Das Gesamt-Projekt erwies sich bald als in dieser Form nicht durchführbar; es endete mit einem "toten" Berg von Material bei der Akademie in München.

Die Memminger Gruppe hatte indes 1838/39 bereits verschiedene Beiträge zusammengetragen (Topographie, Bücher aus/über Memmingen, Schulwesen, Münzen, Kirchen und Klöster, Fortsetzung der Schorer-Chronik, Stadtarchiv und Stadtbibliothek). Bezüglich einer neuen Ordnung des Stadtarchivs kam es zu teilweise lebhaften Diskussionen, Rupprecht kritisierte Unolds Verzeichnisse und wies auf die (vergessenen) Archivalien im Steuerhaus hin. Eine quellenmäßig fundierte Geschichtsdarstellung vor Augen, forderte das Bezirks-Komitée darüberhinaus vergeblich eine Rückgabe der nach München ins Reichsarchiv transportierten Urkunden. Mit dem Scheitern des Lexikon-Projekts endete wohl auch die Tätigkeit dieses frühen Vorgängers des Memminger Altertumsvereins.

Erst Jahrzehnte später - 1863 - erfolgte die längst überfällige Vereinigung der Steuerhausarchivalien mit den Unterlagen des Kanzleiarchivs im Erdgeschoß des Rathauses, und zwar durch den Buxacher Pfarrer Friedrich Dobel. Die Schubladenzahl erhöhte sich hierbei von 255 (Kanzleiarchiv) auf 490; gebundene Akten über die Beteiligung Memmingens bei den Städte- und Reichstagen ergänzte und erweiterte Dobel auf über 100 Faszikel. Für sein Verdienst der Zusammenführung und Neu-Erschließung von Stadt- und auch Stiftungsarchiv wurde Friedrich Dobel 1866 das Ehrenbürgerrecht der Stadt Memmingen verliehen.

Dobel hat in den folgenden Jahren auch die Stadtbibliothek neu katalogisiert, ehe er in Fürstlich-Fuggersche Dienste zwecks Ordnung des Dillinger Hausarchivs trat; 1883 wurde er zum Leiter der Staats- und Stadtbibliothek in Augsburg berufen; 1891 ist Friedrich Dobel im Alter von 72 Jahren gestorben. Die Reichhaltigkeit des Memminger Archivs, aber auch die verdienstvolle Tätigkeit Dobels wurden 1877 ausführlich und positiv in der Archivalischen Zeitschrift gewürdigt. Seine Findbücher haben - nur an wenigen Stellen modifiziert und überarbeitet - bis heute Geltung.

Unter der ehren-, neben- und hauptamtlichen Verwaltung des Archivs durch Studienprofessor Dr. Julius Miedel erfuhr das Archiv in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kleinere Ergänzungen (Haus-Urkunden, Zoller-Familienarchiv) und eine erste umfassende Auswertung durch Miedel selbst und den Heidelberger Professor Askan Westermann, die zusammen ein - später von Walter Braun fortgesetztes - Memminger Urkundenbuch vorbereiteten. Positive Ansätze im Verhältnis zwischen Archiv und der 1911 reformierten Magistrats-Registratur können festgestellt werden; kleinere Aktenaussonderungen mit Archivierungen und Vernichtungen erfolgten in beiderseitigem Einvernehmen. 1919 ist uns allerdings die Klage Miedels überliefert, "daß es nicht nur unvorsichtig, sondern auch unwürdig ist, den Archivraum als Rumpelkammer zu allen möglichen Zwecken zu bemühen. Es ist noch keinerlei Besserung eingetreten. Ich muß nach wie vor, solange das dauert, jegliche Verantwortung meinerseits ablehnen."

1930 gab Miedel in einem Vortrag Einblicke ins Archiv und erinnerte an die verdienstvolle Tätigkeit seiner Vorgängers Dobel. Die Tätigkeit des pensonierten und allmählich gesundheitlich immer mehr eingeschränkten Miedel fand aber schon zwei Jahre später - nach dem Ausscheiden Oberbürgermeister Fritz Brauns - ein Ende. 1938 wurde Miedel anläßlich seines 75. Geburtstages wegen seiner Verdienste um die Erforschung und Auswertung der Memminger Geschichte und um das Memminger Archiv das Ehrenbürgerrecht verliehen.

Nun folgte die wohl schwierigste Zeit der Memminger Archivgeschichte, wurde das Archiv doch sechs Jahre nach dem Ausscheiden Miedels ins Künerhaus (in der Krautstraße) verlagert, wo offenbar jegliche klimatische Voraussetzungen für die Aufbewahrung von Papier fehlten. Die Tatsache, daß heute 10 Prozent der Altbestände Schimmelpilz-Schäden aufweisen, geht vor allem auf die Nässe und die wechselhaften Temperaturen im Künerhaus zurück. 1941 wurden die Bestände aus Sorge vor Bombenangriffen nach St. Josef (Krypta) und Frickenhausen (Schloß) ausgelagert, eine Menge Arbeit, um die sich Altbürgermeister Fritz Braun verdient gemacht hat. Der schlechten Unterbringung diametral gegenüber stand die allgemein anerkannte große historische Bedeutung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Archivalien. So mancher Wissenschaftler oder heimatkundlich Interessierte fand - ausgerüstet mit dem Hausschlüssel - den Weg ins Archivgewölbe, um an Ort und Stelle / zwischen den Schubladen und Regalen die Geschichte der Freien Reichsstadt, ihrer ihrer Klöster und Spitäler, ihres Territoriums, ihres ab dem 16. Jh. evang. Kirchenwesens oder ihrer Handwerker und Zünfte zu erforschen und - nebenbei - auch so manches Einzelstück notdürftig über einer Heizung zu trocknen.

Nach dem Krieg (1947) trat die Stadt nochmals ans bayerische Kultusministrium heran zwecks Rückführung der Memminger Archivalien, die sich in staatlicher Obhut befanden. Der von Walter Braun initiierte Antrag Memmingens wie auch vergleichbare Anträge anderer ehemaliger Reichsstädte blieben aber erfolglos. Die rechtliche Argumentation des Staates ("Ein Archiv folgt dem Territorium nach") setzte sich gegenüber den vor allem fachlichen Argumenten der Kommunen (Bestandseinheit) durch.

Gleichzeitig mit der wissenschaftlichen Auswertung des Stadtarchivs ab dem 19. Jahrhundert war es aber zu einem Bruch zwischen Verwaltung und Archiv gekommen. Neues, immer umfangreicheres Schriftgut des Memminger Magistrats, der Stadt- und der Stiftungsverwaltung wurde in Registraturen ohne Verbindung zum (historischen) Stadtarchiv verwaltet - abgesehen von den kleineren Aktenaussonderungen während der Amtszeit Miedels. Erst nach 1945 erinnerte sich auch das über einige Jahre von Dr. Hilde Miedel verwaltete Memminger Stadtarchiv wieder seiner ursprünglichen Aufgabe, Verwaltungsschriftgut zu archivieren, und übernahm 1958 zahlreiche Akten des 19. Jahrhunderts.