Stadt Memmingen:"Hailtum" im Mittelalter

Quellen zur Geschichte des "Hailtums" in der mittelalterlichen Reichsstadt Memmingen

Neben den vielen Merkmalen, die eine städtische Gemeinschaft auszeichnen (Handelsknotenpunkt und Markt, bürgerliche Ratsverfassung, Wohltätigkeit und Spital), war die gemeinsam gelebte Religiosität konstitutives Element der Stadt und eine Trennung von Staat und Kirche damals noch undenkbar.

Handschriftlichen und gedruckten Chroniken zufolge fand vor 800 Jahren im Benninger Ried ein Hostienfrevel statt. Die "blutende Hostie" wurde am Gregoriustag (12. März) des Jahres 1216 in die benachbarte Stadt Memmingen überführt.

 

Das Stadtarchiv Memmingen nimmt dies zum Anlass, Belege aus handschriftlichen oder gedruckten Chroniken und administrativen Dokumenten zusammenzustellen. Aus diesen Quellen wird deutlich, welche Kraft das Geschehen von 1216 entwickelte. Die Blusthostie – im mittelalterlichen Memmingen „Hailtum“ genannt - wurde zum zentralen Zeichen der Lebens- und Glaubensgemeinschaft und Ausweis mittelalterlicher Religiosität und eucharistischer Verehrung.

 

Bilder

Bayer, Günther: Die Malerfamilie Sichelbein 1580-1758. Lebensbilder und Werke, Lindenberg 2003 (Darin: Abbildungen der Gemälde von Johann Friedrich Sichelbein, S. 82-86 und 124-129).

Hostienfrevel und Überführung nach Memmingen

Neid stand am Anfang des Geschehens. Ein Müller musste laut der Legende zusehen, wie sein Nachbar im Benninger Ried einen höheren Ertrag einfahren konnte. Da er sich (vergeblich) von einer Hostie – unter den Mühlstein gelegt – Hilfe erhoffte, brachte er den von ihm selbst ausgeführten Hostienfrevel zur Anzeige. Die „blutende Hostie“ wurde sogleich geborgen und in die benachbarte Stadt Memmingen gebracht. Die Mühle des neidischen Frevlers versank – so endet die Legende - im Ried

In Memmingen fand die Bluthostie in Sankt Martin, dessen Patronat soeben von Kaiser Friedrich II. den Antonitern übergeben worden war, eine dauerhafte Bleibe. Sie wurde zum Ziel eucharistischer Wallfahrten und Anbetungen, wie sie in Folge des Vierten Laterankonzils mit seiner dort definierten Transsubstantiationslehre (1215), der Einführung des Fronleichnamsfestes (1264) und dem Bedürfnis des Zeigens der Hostie häufig zu beobachten waren.

Berichte über das wundersame Wirken des "Hailtums"

Chroniken berichten von mehreren Wundern, die im Zusammenhang mit der Blut- und Wunderhostie stehen und sich bald nach der Überführung nach Memmingen ereigneten, unter anderem von einem Kind, das 1446 im Stadtbach ertrank und von der Wunderhostie berührt wieder zum Leben zurückfand.

Prozessionen und Empfänge mit dem „Hailtum“

Das „Hailtum“ wurde jährlich am Gregoriustag (12. März) in einer feierlichen Prozession von Bürgern und Schülern vor die Mauern der Stadt mitgeführt. Kündigten sich hohe geistliche oder weltliche Würdenträger - darunter der König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation - an, trugen es Geistliche zusammen mit Vertretern der Bürgerschaft dem Gast entgegen.

Vom Hostienkult zur Verehrung des "Hailtums" als Reliquie

1446 (oder 1447) wurde die Wunderhostie durch den Augsburger Bischof untersucht und dem Pfarrvolk hierauf kundgetan, dass künftig die Hostie nicht mehr angebetet, aber weiterhin als Reliquie zu verehren sei. Wie verschiedene Belege ausweisen, tat dies aber den jährlichen Hailtumsprozessionen keinen Abbruch.

Ende der Verehrung in der Reformationszeit

So manche liturgische Praxis stieß in den Jahren der Reformation – auch in Memmingen – auf Ablehnung. Der Abschaffung der Messe (Dez. 1528) folgte – auf Anregung des Konstanzer Reformators Oekolampads hin - die Entfernung der Bilder und Nebenaltäre in den Kirchen (1531, sog. Bildersturm) und ein Ende der Hostienverehrung. Das „Hailtum“ wurde – so eine Stimme zur Mitte des 19. Jahrhunderts – an einem „heiligen Ort“ eingemauert. Die moderne (kirchen-)geschichtliche Forschung bezweifelt die Historizität eucharistischer Verwandlungswunder und ordnet sie mitunter Betrugs- oder Täuschungsdelikten zu.

Nachwirken

Haben sich Spuren der einstigen Verehrung des "Hailtums" erhalten?

 

Gewiss im Benninger Brauchtum bis in die Gegenwart hinein (Bruderschaft vom Allerheiligsten Altarsakramente), gewiss auch als schriftliche Belege in den Bibliotheken und Archiven, vielleicht auch in so manchem Tun frühneuzeitlicher Generationen, etwa im jährlichen Umgang der Schülerinnen und Schüler vor den Mauern der Reichsstadt, in dessen Tradition sich das moderne Memminger Kinderfest sehen darf.